Der historische Kern von Treviso ist von alten Bauten geprägt. Die Kirche San Nicolo befindet sich am Rande des historischen Stadtkernes. Der Kapitelsaal im angeschlossenen Kloster stellt ein kleines Mekka für Augenoptiker und Brillenfreunde dar – er beherbergt die älteste Brillenabbildung der Welt.
Ein romanisch-gotisches Portal mit einem eleganten Spitzbogen führt vom Kreuzgang in den Kapitelsaal des Dominikaner-Klosters. Über die Schwelle tretend gelangt man in eine historisch und künstlerisch aufregende Umgebung. Im Raum steht man vor einer Aneinanderreihung von Abbildungen vieler Dominikanermönche.
Auf allen vier Wänden schuf einer der größten und modernsten Maler seiner Epoche – Tomaso da Modena – ein Meisterwerk an Portraits von Mitgliedern des Dominikanerordens. Der Saal war für die Kommunikation der Mönche von größer Bedeutung. Hier fanden seit dem Bestehen des Klosters Besprechungen statt. Auch die Wahl von Repräsentanten, einschließlich der Äbte, wurden an diesem Ort abgehalten. Im Kapitelsaal fanden zudem auch feierliche Zeremonien, wie die Aufnahme von Aspiranten statt.
Es waren schon bereits vor Tomaso da Modena’s Wandmalerei Fresken im Kapitelsaal vorhanden. An einer Wand unter zwei hohen Fenstern war schon zuvor eine Kreuzigungsszene mit der Jungfrau Maria, Johannes dem Evangelisten, Petrus und Paulus geschaffen worden.
Dieses venezianisch-romanisches Werk wurde wahrscheinlich um 1250 geschaffen und ist zudem von byzantinisch-gotischen Einflüssen geprägt.
Am 27.12.1944 wurden die Fresken bei einem Bombenangriff zum Teil zerstört. Vor allem die Abbildungen von San Tomaso d’Aquino, San Pietro Martire und San Domenica erlitten bei der Detonation einen Schaden. Die Bruchstücke wurden allerdings wieder zusammengesetzt und geschickt restauriert, sodass auch der Nachwelt dieses unvergleichliche Meisterwerk erhalten geblieben ist.
Der Dominikanerorden wurde im Jahr 1217 gegründet und war im Mittelalter ein Träger der Wissenschaften. Gemeinsam mit den Franziskanern beherrschten seine Angehörigen die Universitäten. Mitglieder wie Thomas von Aquin und sein Lehrer Albert der Große seien an dieser Stelle genannt. Irgendwann im 13. Jahrhundert muß wohl der Grundstein zum Beginn der Brillenfertigung gelegt worden sein.
Die optischen Erkenntnisse von Ibn al Haitham wurden erst bei der Übersetzung seines Werkes „Kitab-al-Manazir“ zu deutsch „Schatz der Optik“ vom Arabischen in das Lateinische im Jahr 1240 praktisch ausgewertet.
Es waren Mönche in westeuropäischen Klöstern die überhalbkugelige Plankonvexlinsen aus Bergkristall oder Quarz fertigten. Bald kamen sie auf den naheliegenden Gedanken die Linse von der Schrift abzuheben und vor das Auge zu halten.
Zu den ältesten Hinweisen auf die Existenz einer Brille gilt die Predigt des Dominikanermönches Giordano da Rivalto aus dem Kloster der hl. Katharina zu Pisa vom 23. Februar 1305. Die Predigten des Mönches werden in Florenz aufbewahrt. In der angesprochenen Predigt findet man folgende Passage: „Es ist noch nicht 20 Jahre her, daß man die Kunst Brillen zu machen, fand, durch die man besser sieht. Es ist eine der besten und notwendigsten Künste.“
In einer Chronik des Dominikanerordens im Kloster der hl. Katharina zu Pisa findet man zudem einen Verweis auf den 1313 verstorbenen Bruder Alexander della Spina: „Bruder Alexander della Spina, ein bescheidener und guter Mann, verstand es, alle Erzeugnisse, welche er sah oder von denen er hörte, auch auszuführen. Er verfertigte Brillen, welche zuerst von jemanden gemacht wurden, der darüber aber nichts mitteilen wollte, selbst und verbreitete sie fröhlichen und bereitwilligen Herzens.“
1352 malt Tomaso di Modena die erste Brillenabbildung der Welt
Den Dominikanern verdanken wir die älteste bekannte Brillenabbildung der Welt. Der damalige Prior, Bruder Fallione da Vazzola, gab dem Maler Thomas von Modena (1325/27 – 1379), italienisch Tomaso da Modena, den Auftrag zur Bemalung des Kapitelsaales im Dominikanerkloster San Nicola in Treviso.
Dies war kein zufälliger Auftrag. Die Dominikaner hatten zu dieser Zeit einen guten Überblick über die künstlerischen Kräfte. Einige Ordensbrüder waren selbst hervorragende Maler. Entsprechend den Statuten legten sie auch in der Kunst größten Wert auf Modernität.
Tomaso da Modena war ein Schüler von Giotto (1266-1337, Fresken in der Scrovegni-Kapelle in Padua). Giotto war von seinen Zeitgenossen, Dante (1265-1321), Francesco Petrarca (1304-1374) und Giovanni Boccaccio (1313-1375) beeinflusst. Er hat für die folgenden Jahrhunderte den Menschen als naturgetreue Abbildung eingeführt.
Für ihn waren Heilige keine überirdischen Wesen sondern Wirklichkeit. Tomaso da Modena lernte bei Giotto – die Fresken im Kapitelsaal wirken geradezu revolutionär gegenüber der Malerei der vorhergehenden Generation. 40 Dominikaner – Heilige, Selige, Päpste, Kardinäle, Bischöfe und ganz normale Ordensbrüder zieren die vier Wände des Saales.
Jedermann ist vornehm in seiner Zelle mit anderen Einzelheiten abgebildet. Haltung, Gebärden und Gesichtseindrücke bestechen durch eine extrem naturgetreue Darstellung. Sie schreiben, lesen oder sind in Meditation versunken. Selbst die von den Mönchen verwendeten Gegenstände wurden bei der Abbildung festgehalten.
Tomaso da Modena traf mit den Dominikanern die Vereinbarung etwas unerhört Modernes zu schaffen. Die Aktualität sollte im Vordergrund stehen. Kardinal Hugo von Billom bläst auf seine Schreibfeder, Kardinal Pietro di Tarantasia (Papst Innocenzo V) beschäftigt sich ebenfalls mit seinem Schreibwerkzeug. Pietro di Palude hält eine Schere und Agostino di Trau verwendet ein Lineal. Die Zelle von Isnardo da Vicenza wird von einem Spiegel geziert. Selten erwähnt wird Kardinal Matteo Orsini. Er hält einen Text sehr nahe an seine Augen – vielleicht leidete er an einer Kurzsichtigkeit?
Unser besonderes Augenmerk richtet sich aber den zwei Kardinälen mit den damals absolut neuen Sehhilfen, die wie ein Wunder die Alterssichtigkeit wieder korrigierten! Hugo von Saint Cher (gest. 1264) – auch Hugo von Provence genannt – und Nicolaus von Rouen (gest. 1325). Der erste wohl zeitwidrig mit einer Nietbrille, der zweite mit einem Einglas. Der Maler hat offenbar (auch wenn er nicht auf alle Einzelheiten einging eine ziemlich gute Kenntnis von der Fassung gehabt, und man darf wohl annehmen, daß er sich an vorhandene Musterstücke gehalten hat. Am Fresko kann man sogar die Anstrengung des Kardinals beim Schreiben sehen – sein Gesicht ist krampfartig verzogen. Sein Blick zielt genau durch die Brille, die Lider zusammen- gekniffen, unter dem Auge eine Faltenbildung und der Mund von Furchen umgeben.
Die Abbildung zeigt eine Nietbrille mit geraden Stielen und aufgeschlitzten Fassungsrändern.
Die Ränder dieser Brillen wurden an ihren dreieckigen Verstärkungen aufgeschlitzt, um das Glas in der Fassung aufnehmen zu können. Man öffnete dabei die Fassung ein wenig und verschloss sie danach mit einem Faden.
Die Länge der Stiele war bei den einzelnen Exemplaren unterschiedlich. Der Durchmesser der Gläser betrug etwa nur 3cm. Auch das Bild von Friedrich Herlin auf der Predella am Jakobsaltar zu Rothenburg ob der Tauber zeigt eine solche Nietbrille der ersten Art.
Ein Meisterwerk der realistischen Darstellung zu dieser Zeit! Die neue Optik – zuerst das Einglas, später die Brille – läutete das Zeitalter der Forschung ein: eine der größten Revolutionen der Menschheitsgeschichte. Tomaso die Modena könnte dies ebenso empfunden haben.
Literatur
[1] Paolo Pozzobon, L’ex convento domenicano di San Nicolo a Treviso
[2] E.H.Schmitz, Handbuch zur Geschichte der Optik, Ergänzungsband III, Die Brille
[3] Zeiss Marwitz, Beiträge zur Geschichte der Brille
[4] Hans Reetz, Bildnis und Brille
[5] E.H. Schmitz, Die Sehhilfe im Wandel der Jahrhunderte
[6] Frank Rossi, Die Brille